Bei Krisen und Trauer kann ein Tagebuch helfen

Ein Tagebuch kann bei Trauer und Krisen hilfreich sein

Ein Tagebuch für die Psychohygiene

Letzte Woche habe ich meine Freundin Klarissa Klein gebeten, einen kritischen Blick auf das Buch, das ich gerade schreibe, zu werfen. Das hat sie netterweise getan und nach einem ausführlichen Telefonat heute, bei dem sie mir zwar nicht die Handlung und Figuren um die Ohren gehauen hat, aber durchaus den Aufbau und die verschiedenen Erzählperspektiven, kamen wir gegen Ende doch noch über die Psychohygiene, die ein Tagebuch in guten wie in schlechten Zeiten bieten kann, ins Plaudern.

Was hindert uns daran, ein Tagebuch sinnvoll zu nutzen.

Klarissa ist nicht nur Autorin und Lektorin, sondern gibt auch Schreibkurse und gab mir bereits die Antwort auf die Frage, warum wir dieses sinnvolle Tool viel zu selten nutzen, bevor ich sie stellen konnte: „Die Leute vergessen einfach, dass sie das Ganze nur für sich notieren und dass es ausschließlich ihrer seelischen Entladung gilt. Aber sie meinen, sie dürften nur perfekte Sätze mit Allgemeingültigkeit von sich geben.“

Perfektionismus verhindert viel Gutes

Wie viel Mühe und Arbeit in Sätzen, die Perfektion vortäuschen und Allgemeingültigkeit heucheln, steckt, wissen wir beide, die Bücher schreiben, nur all zu gut. Selbst die wahrhaftigen Ansammlungen von Worten, lassen sich oft nicht ohne Weiteres hervorkitzeln. Wieso also fällt es vielen von uns so schwer, ganz ausführlich nur für sich Selbst zu schreiben?

Mir fällt nichts ein!

Ideenlosigkeit wird oft als Argument ins Feld geführt. Aber um tolle Ideen geht es in diesem Fall gar nicht. Womöglich ist es im Land der Dichter und Denker einfach zu viel verlangt, hemmungslos und jenseits einer korrekten Interpunktion einfach mal alles raus zu lassen, was uns auf der Seele lastet. Nur darum geht es.

Wie schlimm muss es denn werden, um den einfachsten Methoden eine Chance zu geben?

Ich frage mich oft bei meiner Arbeit als Krisen- und Trauerbegleiterin, was den Menschen denn noch alles erst widerfahren muss, bis sie sich trauen, sich mit dem Führen eines Tagebuches, selbst zu helfen, um den Boden wieder unter den Füßen zu spüren, den Himmel wieder zu sehen und die Vögel wieder zwitschern zu hören?

Ich habe es auch getan – und überlebt!

Ja, ich habe in meiner schlimmsten Trauerzeit über Monate hinweg Morgenseiten geschrieben. Diese Idee habe ich aus dem Buch von Julia Cameron „Der Weg des Künstlers“. Ihr 12-Wochenprogramm war in meiner Trauerzeit ein wenig zu viel für mich aber diese Morgenseiten waren genau das Richtige, um irgendwie dem Tag begegnen zu können. Gleich morgens noch im Bett habe ich direkt nach dem Aufwachen gnadenlos jeden Tag 30 Minuten lang ohne Unterbrechung mit der Hand in eine Kladde geschrieben. Und soll ich euch etwas sagen? Es war gar nicht einmal so schwer. Im Gegenteil, es war sogar leicht. Sobald ich den Anspruch an mich unter Kontrolle gebracht hatte, etwas druckreif zu Papier bringen zu wollen , war es nur die ersten drei Tage lang etwas schwieriger. Schon bald floß es morgens, fast wie von alleine, einfach so aus mir heraus. Und wenn mir wieder etwas echt Erschütterndes um die Ohren fliegt, dann werde ich zusätzlich noch abends schreiben, um diese Dinge vor dem Schlafengehen aus dem Kopf und von der Seele zu haben.

Unser System stellt sich darauf ein

Während der auf Perfektion trainierte Teil unseres Gehirns, unser System noch blockiert, stellt ein anderes Areal unserer grauen Zellen, auf Durchzug und hört die vielen Wenn’s und Aber´s unseres Bedenkenzentrums gar nicht mehr, denn es hat schon längst begriffen, dass wir so unsere Gedanken, die unaufhörlich kreisen und eine Menge Schaden dabei anrichten, endlich etwas befrieden können. Es gilt nur diesen kleinen inneren Konflikt einen kurzen Moment auszuhalten und trotzdem zu schreiben.

Ist es wie die Angst vor einer OP am offenen Herzen, ohne Narkose?

Alle, wirklich alle, die auf Klarissa, mich und all die anderen Coaches und Trauerbegleiter:innen gehört haben, bestätigen es: Es hilft wirklich! Und das Verrückte ist, wir empfehlen den Leuten ja nicht, sich ohne Narkose am offenen Herzen operieren zu lassen. Aber sie reagieren fast so auf unseren Vorschlag. Doch vielleicht ist es genau das: Eine Operation am offenen Herzen, ohne Narkose, denn es ist damit zu rechnen, dass die Worte aus tiefstem gebrochenen Herzen kommen und sie wie wahnsinnig schmerzen, wenn sie frei gelassen werden. Aber wie mit dem schriftlichen Entlassen quälender Schmerzen und Gedanken, ist es oft so, bei einer OP: Danach schlägt das Herz munter weiter und das Blut kann wieder ungehindert zirkulieren. Wenn wir aber nichts unternehmen tut es ständig, mehr oder weniger weh und wird meistens noch schlimmer.

Je größer der Verlust, je schlimmer die Krise, um so mehr Buchstaben müssen fließen!

Eine Bitte habe ich noch, wenn dieser Beitrag jemanden so weit gebracht hat, Stift und Papier zur Hand zu nehmen, um Buchstaben darauf zu bannen: Bitte gebt nicht zu schnell wieder auf, denn je größer der Schmerz, um so mehr braucht es die seelische Entlastung des Schreibens. Gibt es Momente, in denen der Schmerz so groß ist, dass tatsächlich kein Anfang zu finden ist, hilft es, einfach nur Blablablablabala aufs Papier zu bringen. So lange bis sich andere Worte formen und bilden. Bitte von Punkt und Komma, Groß- und Kleinschreibung und vor allem einer lesbaren Schrift unbedingt absehen. Es ist nur für einen selbst und wenn bei Ängsten, jemand anderes könnte es finden und lesen: Einfach vorsorglich verbrennen oder anderweitig vernichten.

Fazit: Es kostet nix und es hilft!

Vielleicht ersetzt es nicht den Therapeuten, die Therapeutin oder Freunde aber bei Krisen und Trauer sind wir so viel Zeit auf uns alleine zurück geworfen, in der es uns wirklich schlecht geht, dass der Bedarf der schriftlichen Seelen-Entlastung mehr als gerechtfertigt und manchmal sogar lebensnotwendig ist.

Mit Herz und Mut!

Also: Bitte fasst euer wundes, eingeschüchtertes Herz und greift mutig zu Papier und Feder und lasst den Gefühlen ihren hemmungslosen Lauf: Täglich, regelmässig, immer wieder, über eine lange Zeit!

Mehr über mich und meine Angebote

Mehr über mich und meine Angebote zum Thema Krisen- und Trauerbegleitung und meine Bücher findest du unter trauerbegleiter.org. Dazu gehören auch EinzelcoachingsOnline-Seminare und Seminar-Reisen. Für mein kostenfreies Newsletter-Magazin kannst du dich hier registrieren. Wenn du dich in einer schwierigen Lebenssituaion befindest, können dir manchmal ein paar Impulse auf deinem Weg in ruhigere Gefilde weiter helfen, den nächsten Schritt zu machen. Viele Hinweise findest du auf meiner Homepage unter „Impulse auf dem Weg“. Dann gibt es da noch den Podcast „Lebendig-Irgendwas geht immer“. Dort unterhalte ich mich mit Menschen, die im Bereich Krisen- und Trauer arbeiten oder selbst große Krisen und Verluste gemeistert haben. Und wenn du dich noch mehr zum Thema Krisen und Trauer informieren darüber möchtest, kannst du mal das Trauer-Radio einschalten. 

Hier kannst du die PDF für die Traumreise „Ich bin glücklich“ herunterladen, die du dir hierdirekt anhören kannst. Weitere Traumreisen gibt es in meinen Büchern und Seminaren.

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